Lehren aus der Corona-Krise (Gastbeitrag)

„Nicht zurück zur alten Normalität, sondern nach vorne zur künftigen Modernität.“ – Gastbeitrag von Prof. Heinz Lohmann zur Blogparade „Kulturwandel im Gesundheitswesen“.

Der allgemeine Wandel unserer Gesellschaft macht inzwischen auch nicht mehr vor der Gesundheitswirtschaft Halt. Zudem führen tiefgreifende Veränderungen wie die derzeitige Corona-Krise immer wieder zu Verunsicherungen bei den beteiligten Akteuren. Gerade Unternehmen, die Gesundheit „produzieren“, zeigen sich in besonderer Weise betroffen:

Humandienstleistungen sind auf das Vertrauen der Konsumenten angewiesen. Deshalb ist Unternehmenskultur das zentrale Thema von Change Management in der Gesundheitsbranche.

Nur eine ausgeprägte Unternehmenskultur kann Unternehmensziele, Mitarbeiterzufriedenheit sowie Kundenorientierung „unter einen Hut“ bringen und den Beteiligten die nötige Sicherheit in Zeiten des Umbruchs oder von Krisen vermitteln. Im Idealfall tragen Beschäftigte eines Unternehmens gemeinsam Grundüberzeugungen, Werte und Einstellungen. Dieser Zustand tritt nicht automatisch ein. Er muss hart erarbeitet werden. Dies gilt in „bewegten Zeiten“, wie wir sie aktuell erleben, umso mehr.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass Deutschland im internationalen Vergleich über ein starkes, handlungsfähiges und belastbares Gesundheitssystem verfügt. Gleichwohl sind auch Schwächen und Verbesserungsbedarfe deutlich geworden. Deshalb gilt es, die richtigen Lehren zu ziehen und nicht in alte Mechanismen zu verfallen.

Jetzt ist der geeignete Moment, eine moderne, insbesondere digitale Struktur zu schaffen und die Unternehmenskultur zu stärken.

So ist zum einen der Digitalisierung in der Gesundheitswirtschaft viel zu lange mit großer Skepsis begegnet worden und oftmals mit Sorgen um den Datenschutz oder mit einer „zu komplexen IT-Integration“ verbunden gewesen.  

Mitten in der Krise sind viele Kritiker der Nutzung digitaler Lösungen aus der Not heraus eingeschwenkt und haben plötzlich wie selbstverständlich Telemedizin, Videokonsultationen, digitale Plattformen und vieles andere mehr eingesetzt und schätzen gelernt. Aktuell geht es darum, diesen Stimmungswandel zur Basis deutlicher Digitalisierungsfortschritte zu machen.

Die heute „erzwungene“ Nutzung vieler digitalen Hilfsmittel wird nach Einschätzung des Surgical Process Institute (SPI) über die nächste Zeit nicht nur zur Gewohnheit für viele OP-Teams werden, sondern auch die vielen Vorteile dieser Art der Zusammenarbeit herausstellen, die sie im Anschluss an diese Pandemie gar nicht mehr missen wollen. Bisher bestehende Vorurteile über die digitale Unterstützung würden durch die jetzige Realität entkräftet und in großem Maße sogar positiv akzeptiert: schnelle und unkomplizierte Unterstützung (keine Reisen/keine Wartezeiten), höherer Hygienestandard (weniger Personen im Operationssaal) und flexible Anpassung auf Veränderungen (neue OP-Technik, neuer Standard). Darüber hinaus sind digital vorliegende Informationen unabhängig von Ort und Zeit verfügbar – die exakt benötigte Information in der jeweiligen Situation.

Zum anderen steht das Thema „Unternehmenskultur“ häufig leider sehr selten auf der Agenda des Vorstandes und des Managements.

Es besteht oft der irrige Glaube, Unternehmenskultur sei ein „Schönwetterthema“. Damit könne man sich beschäftigen, wenn man viel Zeit habe.

Manager, vor die Wahl gestellt, an einem Controllertreffen oder an einem ethischen Diskurs teilzunehmen, entscheiden sich fast immer für das vermeintlich „harte“ Thema Controlling. Das ist ein großer Fehler. Gesundheitswirtschaft ist Vertrauenswirtschaft. Nur wenn die Mitstreiter „an einem Strang ziehen“, tritt nachhaltiger Erfolg ein. Hier ist Führung auf allen Ebenen gefragt. Das fängt ganz „oben“ beim Vorstand an und zieht sich bis nach „unten“ durch den ganzen Betrieb.

Verantwortung für die Unternehmenskultur lässt sich nicht in die „zuständige“ Stabsabteilung wegdelegieren. Aber sie darf auch nicht zum beliebigen Thema von Sonntagsreden verkommen. Deshalb benötigt der permanente Diskurs eine feste Struktur.

Die Unternehmenskultur gehört nicht abgeheftet, sondern bedarf ständiger Reflexion und natürlich bei Bedarf einer Korrektur. Die Pflege und andere medizinische Berufe wurden im Zuge der Corona-Krise als systemrelevant identifiziert. Jetzt sind bei der nachhaltigen Aufwertung der Pflegeberufe nicht ausschließlich rein ökonomische Fakten ausschlaggebend. Vielmehr muss der Beruf langfristig mehr Sozialprestige vermitteln. Erforderlich ist beine eine grundlegende Neubestimmung der immateriellen Aspekte. Aber auch im ärztlichen und sonstigen therapeutischen Bereich sind Veränderungen der Rahmenbedingungen zur Steigerung der Attraktivität erforderlich, um dauerhaft Menschen anzuziehen und zu binden.

Schon während der Corona-Krise ist die Diskussion um die Finanzierung des Gesundheitssystems von dem einen oder anderen Protagonisten genutzt worden, um das ungeliebte DRG-System in den Krankenhäusern los zu werden und dauerhaft zur längst überwunden geglaubten Selbstkostendeckung zurückzukehren. Eine Reform des Vergütungssystems ist zwar überfällig, aber die Wiedereinführung des Selbstkostendeckungssystems keine Lösung. So steckt dieses System voller Fehlanreize, weil es institutionsorientiert und in keiner Weise an den Patienteninteressen ausgerichtet ist. Jetzt sollten die künftigen Finanzierungsgrundsätze von einem starken Patientenbezug geprägt sein. Dazu muss das Patientenwohl zu einem weiteren entscheidenden Maßstab der Klassifizierung werden, indem die Evidenz der Medizin genauso berücksichtigt wird, wie Patient Reported Outcomes. Zudem müssen in diesem Sinne die Entgeltsysteme des ambulanten und stationären Sektors harmonisiert werden. Deshalb müssen aus DRGs künftig PRGs, Patient Related Groups, werden.

Die Corona-Krise hat darüber hinaus erschreckend deutlich werden lassen, dass die Risikobewertung lange Zeit auf einer viel zu schmalen Expertenbasis und vor allem einer völlig unzureichenden Datenlage erfolgen musste. In der Folge wurden zudem die ökonomischen, sozialen und psychischen Folgen der getroffenen Maßnahmen nicht ausreichend einbezogen.

In Zukunft ist eine umfänglich interdisziplinäre Vorgehensweise unabdingbar.

Zudem sollte die Datenerhebung und -übermittlung deutlich verbessert werden. Das oberste Ziel der jetzt dringend erforderlichen Modernisierung des Gesundheitssystems muss eine klare Ausrichtung auf die Interessen der einzelnen Patienten und der Gesellschaft insgesamt sein.

Und natürlich wird nicht zuletzt die beginnende Patientensouveränität aufgrund vermehrter Transparenz in den kommenden Jahren das Gesundheitssystem tiefgreifend verändern. Die bisherige Institutionenorientierung, die mit dem überkommenen expertendominierten Anbietermarkt einherging, wird dabei durch eine strikte Prozessorientierung abgelöst werden. Das erhöht die Komplexität in der Organisation der Medizin beträchtlich.

Deshalb dürfen die Gesundheitsanbieter nicht länger auf die Methoden und Techniken der „Digitalen Industrialisierung“ verzichten. Sie schaffen erst die Voraussetzung, eine Unternehmenskultur zu etablieren, die zu einem der entscheidenden Erfolgsfaktoren im zunehmenden Wettbewerb werden kann.

Die Voraussetzungen für die Gestaltung einer modernen Unternehmenskultur sind in Krankenhäusern sehr unterschiedlich. Während in ärztlichen und pflegerischen Bereichen traditionell eine hohe Identifikation mit der eigenen Berufstätigkeit vorhanden ist, sind Manager häufig noch „auf der Suche“ nach ihrer Rolle. Alle Beteiligten müssen sich allerdings umorientieren. Angesichts der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wird der Druck auf die Wirtschaftlichkeit zweifellos weiterhin anhalten. Hinzu kommen erheblich steigende Ansprüche an die medizinischen Leistungen und die Servicequalität. Deshalb muss die Unternehmenskultur neu definiert und verankert werden.

Nur eine Integration der kulturellen Welten führt zu einer Verbesserung der Sozialqualität. Die dazu notwendigen Aufgaben gehören ganz oben auf die Agenda der Verantwortlichen in Gesundheitsunternehmen.

Die neue Innovationsplattform von Lohmann konzept stellt weitere Perspektiven von unterschiedlichen Akteuren im Gesundheitswesen zusammen und bietet einen guten Platz des Austausches.


Prof. Heinz Lohmann – Gesundheitsunternehmer, u.a. LOHMANN konzept GmbH, WISO HANSE management GmbH und Lohmann media.tv GmbH in Hamburg sowie agentur gesundheitswirtschaft GmbH in Wien; zuvor leitende Funktionen in der privaten Wirtschaft und im öffentlichen Sektor, davon über 30 Jahre in der Gesundheitswirtschaft;

Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, Autor zahlreicher Publikationen; Ehrenvorsitzender der Initiative Gesundheitswirtschaft e.V.;

Präsident des GESUNDHEITSWIRTSCHAFTSKONGRESSES, Hamburg, und des ÖSTERREICHISCHEN GESUNDHEITSWIRTSCHAFTSKONGRESSES, Wien, sowie Wissenschaftlicher Leiter des Kongresses KRANKENHAUS, KLINIK, REHABILITATION des HAUPTSTADTKONGRESSES, Berlin.

Bild: Prof. Heinz Lohmann, LOHMANN konzept, Hamburg

Bild oben: AdobeStock_345022007

2 comments

  1. Lieber Prof. Lohmann,

    Ihr Gastbeitrag ist eine sehr gute Zusammenfassung der aktuellen Situation. Aktuell ist das Gesundheitswesen bereits auf hohem Niveau digitalisiert. Es steht jetzt die Ausweitung und Integration verschiedener digitaler Cluster bevor sowie die konsequente Entwicklung und Einführung digitalen KI.
    Interdisziplinäre Vorgehensweise beinhaltet insbesondere die Zusammenführung kulturellen Welten der Ambulanten und Stationären Welten.

    Herzlichst Dieter Witten

  2. Ich kann den Beitrag von Prof. Heinz Lohmann nur unterstützen! In vielen Unternehmen und Branchen hat sich die Digitalisierung rasant über Nacht entwickelt. Die Vorteile liegen auf der Hand und dieser Schub muss genutzt werden. Kulturentwicklung und Führung sind die unterschätzten Themen, wobei nach meiner Erfahrung, die Pflege deutlich aufgeschlossener ist als die Ärzteschaft. Wie es gelingen kann, diese Berufsgruppe mehr zu gewinnen ist für mich eine wichtige Frage.

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