Ein gelöster Umgang mit Konflikten fördert die Entwicklung (Gastbeitrag)

Ein Gastbeitrag von Sigrid Rück zur Blogparade „Kulturwandel im Gesundheitswesen“.

Konflikte in Organisationen sind unvermeidbar – ein gelöster Umgang damit fördert die Entwicklung.

Im Krankenhaus arbeiten Fachleute auf verschiedenen Hierarchieebenen zusammen. Unterschiedliche Berufssparten treffen aufeinander (Ärzte, Pflegekräfte, Verwaltungsmitarbeiter u.a.) – mit ungleicher Kultur und Sozialisation, eigenem Status- und Selbstbewusstsein sowie divergierenden Zielsystemen. Dazu kommt der besondere Stress, der immer dort auftritt, wo es um existenzielle Themen wie Krankheit, Leben und Tod geht.

Fortwährende Maßnahmen zur Kostensenkung, Strukturanforderung, demographischer Wandel, haus- und fachärztliche (Unter-) Versorgung, körperliche Belastung, hohe Verantwortung, Arbeiten unter Unsicherheit und Zeitdruck sind nur einige Faktoren, die von den Beschäftigten bewältigt werden müssen.

Dabei ändern sich die Dinge im Außen kontinuierlich. Das vertraute Denken in Ursache-Wirkungsbeziehungen von gestern wird der Komplexität von heute und morgen nicht mehr gerecht. Rahmenbedingungen ändern sich schnell, Interessenkoalitionen werden immer vielschichtiger und Motivlagen werden komplexer. Das Agieren und Reagieren kostet viel Energie, hoher Leistungs- und Erfolgsdruck, zunehmende Arbeitsverdichtung und gleichzeitige Ressourcenknappheit im Gesundheitswesen führen zu Spannungen, Differenzen und häufig zu Konflikten. Diese wirken sich nicht nur auf der wirtschaftlichen Seite aus (Krankenstand, Kündigungen, Fluktuation, Patientenverlust etc.), sondern beeinträchtigen oftmals auch die Betriebsabläufe, stören die Beziehungen zwischen den Beschäftigten und behindern so die effektive, zielgerichtete und lösungsorientierte Zusammenarbeit. Allein im Arbeitsfeld Gesundheitswesen liegt schon viel Potenzial für das Entstehen von Konflikten.

Konflikte sind unausweichlich und gehören zum Alltag, solange unterschiedliche Menschen aufeinandertreffen. Konflikte sind normal.

Dennoch scheint ihnen ein Makel anzuhängen: Man will sie nicht haben. Sie reichen von unschön bis bedrohlich und sind häufig begleitet von unangenehmen Emotionen. Sie kosten Kraft, konfrontieren mit Macht und Ohnmacht und in vielen Fällen stehen die eigenen Erfahrungen im Hintergrund, in denen man sich hilflos und unterlegen gefühlt hat. Konflikte werden eher als lästig und belastend erlebt – betonen doch die meisten Menschen ihren Wunsch nach Harmonie.

Allerdings fordert uns das (Arbeits-) Leben durch stete Veränderungen immer wieder dazu heraus, daraus resultierende Konflikte zu meistern. Konflikte als Chance für Entwicklung zu sehen und sie aktiv klärend und verändernd in die Hand zu nehmen, ist sicherlich die beste Variante damit umzugehen. So werden Konflikte zu Antreibern notwendiger Entwicklungen und weisen auf Veränderungsnotwendigkeiten hin, wo das tradierte Verhalten, die eingespielten Abläufe und die in die Jahre gekommenen Strukturen eines Wandels bedürfen.

Menschen entwickeln meist unbewusst Strategien, um ihre Konflikte zu lösen:

Konflikte werden verleugnet, der Gegner wird bekämpft oder untergeordnet. Konfliktparteien delegieren die Entscheidung an eine höhere Instanz (z.B. Vorgesetzten) oder es werden Kompromisse ausgehandelt. Erst wenn die Konfliktparteien die Erfahrung machen, dass die Konfliktlösung mit Hilfe der o.g. Strategien nicht zu realisieren ist, werden sie sich in einen dialektischen Entwicklungsprozess begeben, an dessen Ende eine Lösung gefunden werden kann, die beiden Gegensätzen Rechnung trägt.

In Organisationen muss man davon ausgehen, dass Konflikte nicht ausschließlich ein individuelles Problem sind, sondern dass auch Organisationsstrukturen Einfluss darauf haben, ob und wie Konflikte entstehen und sich auswirken.

Konflikte im Arbeitsumfeld sind belastend. Sie bringen nicht nur emotionale, sondern auch wirtschaftliche Konsequenzen mit sich. Denn wenn durch Unstimmigkeiten der Informationsfluss ins Stocken gerät oder die Zusammenarbeit der Disziplinen zum Schauplatz persönlicher Anfeindungen wird, leiden die Patienten darunter.

Ist das Arbeitsklima erst einmal gestört, entstehen sog. Konfliktkosten. Offensichtlich zeigen sich diese in hohem Krankenstand, Personalfluktuation und massiven Arbeitsstörungen zwischen Mitarbeitern und Abteilungen. Weniger offensichtlich sind schlechtes Betriebsklima, verärgerte Kunden/Patienten und die innere Kündigung von Mitarbeitern. Obwohl das Delta zwischen dem Bedarf an Ärzten und Pflegekräften und den zur Verfügung stehenden Fachkräften stetig wächst, werden Konflikte oftmals totgeschwiegen und Konfliktlösung nicht aktiv angestrebt. Eher wird in Kauf genommen, dass unzufriedene Mitarbeiter ihre Energie benötigen, um die Schwierigkeiten zu beklagen und in immer wiederkehrenden Schleifen ihrer Unzufriedenheit Ausdruck verleihen. Sehen sie dauerhaft keinen Weg, die bestehenden Konflikte einvernehmlich zu lösen, sind sie eher bereit, sich aktiv um eine neue Arbeitsstelle zu bewerben oder sich abwerben zu lassen.

Konflikte entstehen immer dann, wenn die beteiligten Personen oder Gruppen nicht mehr ausreichend in der Lage sind, die für sie wichtigen Dinge miteinander zu verhandeln. Die wechselseitige Kommunikation ist gestört, so dass Missverständnisse, Vorwürfe, Beleidigungen oder trotziger Rückzug die Beziehung stören. An der Stelle, wo Verhandlungskompetenz notwendig wäre, sind die Beteiligten hilflos in ihrer Kommunikationskompetenz eingeschränkt. Aus Missverständnissen werden schnell Kränkungen und es finden sich immer neue Anlässe oder kleine Fehler, die den Konflikt weiter befeuern, so dass die Eskalationsdynamik an Fahrt gewinnt.

Hier setzt Mediation an und bietet ein 5-stufiges strukturiertes Verfahren, um Konflikte zu regeln, Prozesse zu verbessern und Reibungsverluste zu minimieren.

Die Konfliktparteien erfahren zunächst unter Anleitung, dass Konflikte einvernehmlich geregelt werden können und durchlaufen einen Lernprozess, bei dem sie ihre eigene Konfliktlösungskompetenz entwickeln und zu einer gemeinsamen und tragfähigen Lösung zu finden können.

Phase 1: Einführung in das Mediationsverfahren und dessen Regeln

In der ersten Phase der Mediation geht es vor allem darum, mit den Medianten ein Arbeitsbündnis herzustellen. Dies beinhaltet, miteinander gut in Kontakt zu kommen, das Verfahren der Mediation zu erläutern und einige Grundregeln für die Zusammenarbeit zu vereinbaren. Die Phase endet mit der Festlegung auf das gemeinsam zu erreichende Mediationsziel. Dieses darf sehr allgemein gehalten sein.

Phase 2: Themensammlung

Kern dieser Phase ist die Sammlung der Konfliktthemen beider Medianten. Sie befasst sich mit der Fragestellung, was alles besprochen werden muss, damit das formulierte Mediationsziel erreicht werden kann. Die Medianten tragen ihre Sicht auf den Konflikt nacheinander kurz und präzise vor. Dabei werden sie nicht von der anderen Konfliktpartei unterbrochen und müssen sich nicht rechtfertigen. Der Mediator spiegelt, fasst zusammen, neutralisiert Formulierungen und stellt Verständnisfragen. Er versucht sicherzustellen, dass alle Themen benannt werden.

Die Wirkungen dieser Phase auf die Medianten sind im Wesentlichen folgende:

  • Sie werden gehört und gesehen
  • Sie dürfen ausreden ohne unterbrochen zu werden oder mit eigenen Geschichten des Zuhörers konfrontiert zu werden
  • Was sie zu sagen haben ist wichtig und steht im Mittelpunkt
  • Das Problem in Worte fassen zu können, schafft eigene Klarheit
  • Durch das Paraphrasieren hört die andere Konfliktpartei den „Text“ ein zweites Mal
  • Das aktive Zuhören verlangsamt die Kommunikation und der Klient kann sich entspannen, denn er fühlt sich verstanden

Wenn alle Regelungspunkte benannt sind, legen die Klienten die Agenda für das weitere Verfahren fest. Sie entscheiden, mit welchem Thema sie beginnen möchten.

Phase 3: Erforschung der Hintergründe und Interessen

Diese Phase wird als die wichtigste Phase der Mediation bezeichnet, da die dahinterliegenden Interessen und wahren Beweggründe erkundet werden.

Die zunächst eingenommen Positionen sind so stabil, dass sie nicht bearbeitet werden können. Über sie kommen wir nicht zu einer Lösung, die für beide Parteien befriedigend ist. Im besten Fall kann über die Klärung der Standpunkte eine Kompromisslösung gefunden werden. Oftmals gibt es sogar zwei Verlierer, da keine Partei mit dem Ergebnis richtig zufrieden sein kann. Um die gegenüberstehenden und (scheinbar) unvereinbaren Positionen und Forderungen bearbeiten zu können, liegt nun der Fokus auf dem, was sich unter der Oberfläche befindet: Motive, Bedürfnisse und Gefühle werden ergründet, Interessen und Wünsche herausgearbeitet. Der Mediator fragt nach, klärt erneut und stellt schrittweise die direkte Kommunikation zwischen den Medianten her. Erst wenn es gelingt, die tieferliegende Motivation zu benennen, kann im Verlauf eine Lösung erarbeitet werden, die die Interessen berücksichtigt und auf Dauer tragfähig ist. Ziel dieser Phase ist, dass beide Klienten die Beweggründe der anderen Partei richtig erfasst und verstanden haben. Die  Konfliktparteien erkennen im Verlauf die guten und nachvollziehbaren Gründe der anderen Partei und können gleichermaßen erfahren, dass die eigenen Beweggründe anerkannt werden. Die Beteiligten kommen zunehmend miteinander ins Gespräch und erlangen nach und nach ihre Handlungskompetenz zurück.

Phase 4: Erarbeitung von Optionen und Lösungen

Gemeinsam suchen die Medianten mit Hilfe von Kreativitätstechniken nach Lösungen, die dafür geeignet sind, die ermittelten Interessen und Bedürfnisse zu befriedigen. Einem Brainstorming ähnlich werden zunächst möglichst viele Optionen/Vorschläge gesammelt und im Anschluss daran bewertet und diskutiert, welche Lösungsvorschläge einigungs- und realisierungsfähig sind. Dabei legen beide Seiten für sich fest, was sie selbst tun können, um den Konflikt zu lösen, die Kommunikation zu verbessern und die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen.

Phase 5: Verhandlung und Vereinbarung

Das Ergebnis des Mediationsprozesses wird am Ende einer Mediation konkret schriftlich festgehalten. Der Mediator unterstützt die Konfliktparteien bei der Ergebnisdokumentation im Hinblick darauf, dass die erarbeiteten Lösungsoptionen SMART (spezifisch – messbar – erreichbar – realistisch – termingerecht) sind.

Bei dem oben beschriebenen Verfahren geht es darum, das wechselseitige Verständnis bei den Konfliktparteien wieder zu entwickeln und das verborgene individuelle Erleben und die Beweggründe herauszuarbeiten.

Im Kontext von Unternehmen entscheiden sich einige Medianten aus guten Gründen gegen eine Offenlegung ihre wahren Interessen – möglicherweise aus Furcht vor der Schwächung ihrer jetzigen oder zukünftigen Position.

Die Lösungsorientierte Konfliktmoderation nach Robrecht verzichtet auf die explizite Herausarbeitung der Bedürfnisebene und folgt der Prozesslogik „Akzeptanz fördern“.

Die Aufgabe des Beraters besteht darin, die Koexistenz von Unterschiedlichem zu fördern. Es wird die Fähigkeit gefördert, mit Widersprüchen entspannt umzugehen und nebeneinander bestehende Wahrheiten auszuhalten (Ambiguitätstoleranz). Das gelingt durch das Verstehen, dass da etwas Belastendes ist. Dabei ist es nicht das Ziel zu verstehen, was genau belastet.

Beispiel: „Ich verstehe nicht genau, was sie an meiner Handlung so stört und warum das so ist. Dennoch können wir einen Weg der Zusammenarbeit finden. Weil es ihnen wichtig ist, werde ich das zukünftig anders machen.“

Auf diese Weise wird durch neue Handlungen eine neue Realität geschaffen.

Im Kontext von Unternehmen scheint diese Vorgehensweise sehr gut geeignet, da sie schnell wirkt, das Schutzbedürfnis der Teilnehmer respektiert und dem Daseinszweck des Unternehmens Vorrang vor den Interessen des Individuums einräumt. Die Logik passt zu dem Grundsatz, der Mission des Unternehmens zu dienen, um Handlungen zu fördern, die zum Unternehmenserfolg beitragen.     

Fazit

Konflikte sind im Zusammenleben von Menschen völlig normal und unumgänglich. Auch im Arbeitsalltag gehören sie dazu: Es ist unvermeidbar, dass Situationen und Entscheidungen als Begrenzung erlebt werden oder Kollegen aufgrund ihrer Rolle, ihres Status oder ihrer Persönlichkeit ein Verhalten zeigen oder Handlungen ausführen, die als herausfordernd und konflikthaft erlebt werden.

Konflikte kosten auf der individuellen Ebene Kraft und Energie. Sie schränken die Arbeitsfähigkeit von Mitarbeitern ein. Wenn Mitarbeiter nicht mehr in der Lage sind, ihre Konflikte zu besprechen und Lösungen miteinander zu verhandeln, leiden sie ganz persönlich darunter, fühlen sich als Opfer der Situation und verlieren ihre Handlungsfähigkeit. Wirtschaftliche Auswirkungen sind u.a. krankheits- oder motivationsbedingte Fehlzeit, Leistungsminderung, Fluktuation.

Für Krankenhäuser ist es unverzichtbar, dass sie genügend gut qualifizierte, motivierte und engagierte Mitarbeiter finden und halten können. Ein gelöster Umgang mit Konflikten kann dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Mitarbeiter wollen gesehen und gehört werden, ihre Sicht und Kompetenz einbringen und mitgestalten.

Das erfordert Veränderungen im Umgang mit Konflikten, die sowieso nicht zu vermeiden sind. Wenn es der Organisation gelingt, Unterschiede und Begrenzungen besprechbar zu machen, wird das ein wertvoller Beitrag zur Organisationsentwicklung sein.

Konflikte machen den Veränderungsbedarf deutlich, wo die tradierten Strukturen und Prozesse nicht mehr geeignet sind, den geänderten Anforderungen gerecht zu werden. Es braucht die Auseinandersetzung, um den Anpassungsprozess erfolgreich gestalten zu können.

Das entlastet die Mitarbeiter, spart dem Unternehmen Kosten, verbessert das Betriebsklima und kommt letztlich den Patienten zugute, denn verärgerte, gekränkte und in der Opferrolle verhaftete Mitarbeiter sind auf Dauer nicht in der Lage, mit kranken Menschen empathisch umzugehen oder in Stresssituationen umsichtig und adäquat zu handeln.


Literatur

Kreuser, K., & Robrecht, T. (2016). Wo liegt das Problem? So machen Sie Ihr Team in 3 Stunden wieder arbeitsfähig. Frankfurt am Main: Wolfgang Metzner Verlag.

Pühl, H. (2018). OrganisationsMediation: Grundlagen und Anwendungen gelungenen Konfliktmanagements. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Schwarz, G. (2007). Die „Heilige Ordnung“ der Männer: Hierarchie, Gruppendynamik und die neue Rolle der Frauen (5. überarbeitete Ausg.). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Schwarz, G. (2010). Konfliktmanagement. Wiesbaden: Gabler / GWV Fachverlag.

Sigrid Rück arbeitet seit über 35 Jahren in unterschiedlichen Rollen mit Menschen im Gesundheitswesen zusammen.

Durch ihre umfangreiche Berufspraxis im Krankenhaus sind ihr das Zusammenspiel verschiedener Berufsgruppen und Hierarchieebenen ebenso vertraut, wie die Rahmenbedingungen und Herausforderungen, mit denen Gesundheitseinrichtungen täglich konfrontiert sind.

Ihr wichtigstes Anliegen ist es, ihre Kunden dabei zu unterstützen, das eigene Deutungs- und Verhaltenspotential weiterzuentwickeln.


Bildquelle (oben): AdobeStock_290704290

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