Mit- und füreinander zur digitalen Akte

Wie kann Digitalisierung im Krankenhaus gelingen? Die Einführung einer elektronischen Patientenakte ist nicht nur eine technische, sondern vor allem eine organisatorische Herausforderung. Diese kann nur gemeistert werden, wenn die Menschen, die tagtäglich mit den neuen Tools umgehen sollen, von deren Nutzen wirklich überzeugt sind. Im Rahmen meiner Tätigkeit für die Main-Kinzig-Kliniken durfte ich ein Interview mit denjenigen führen, die sich intensiv mit der Einführung der neuen Dokumentationssoftware auseinandersetzen. Es ist erschienen in der aktuellen Ausgabe der Klinikzeitschrift „Pulsschlag“.

„Dass etwas schon immer so war, heisst nicht, dass es schon immer gut war.“

„Wenn man einen schlechten Prozess digitalisiert, wird daraus ein schlechter digitaler Prozess“ – Dieser Satz bringt auf den Punkt, welche Herausforderungen das Projekt Digitalisierung in sich trägt. Eine vollständig elektronische Patientenakte zu schaffen, heißt nicht nur, die Dokumentation vom Papier ins System zu übertragen, sondern vor allem: bisherige Abläufe zu hinterfragen. Nur dann könne das große Potenzial technischer Lösungen voll ausgeschöpft werden. Dies ist die einhellige Meinung der drei Projektgruppenmitglieder, die die neue Software und mit ihr sämtliche Prozesse genauestens unter die Lupe nehmen: Daniel Höppe, Bereichsleiter der Geriatrie in Schlüchtern; Christian Englich, Gesundheits- und Krankenpfleger auf der Station A4.2 in Gelnhausen, und Christian Volk, Mitarbeiter der Datenverarbeitung. Der Projektgruppe gehören außerdem noch Nina Döppenschmitt, Maria Heeg, Sigrid Rück und Bernd Bischof an.

„Unser Ziel ist es, gemeinsam etwas zu schaffen, mit dem man schneller dokumentieren kann und das unsere Kollegen wirklich entlastet.“

Worin liegen die großen Vorteile der Digitalisierung für die Kliniken?

Technische Lösungen helfen dabei, Arbeitsschritte zu automatisieren, Prozesse zu vereinfachen und zu verbessern. „Die Kollegen investieren täglich viel Zeit in die Dokumentation, sie erhoffen sich mehr Zeit für die Patienten“, so Höppe. Wie auch Christian Englich verfügte er bereits über EDV-Kenntnisse und umfangreiche Erfahrung – vor allem in der pflegerischen Arbeit auf Station. Mit genau diesem Rüstzeug möchten sie sich aktiv einbringen: „Unser Ziel ist es, gemeinsam etwas zu schaffen, mit dem man schneller dokumentieren kann und das unsere Kollegen wirklich entlastet“, sagt Englich. Dazu gehöre auch, dass Informationen noch aktueller verfügbar sind – eben da, wo sie gerade gebraucht werden.

„Mir wurde sogar schon die Frage gestellt, warum wir dies nicht schon vor fünf Jahren gemacht hätten.“

Wie wird der Veränderungsprozess bisher angenommen? 

„Viele Kollegen zeigen sich sehr aufgeschlossen und können kaum erwarten, bis es los geht“, so Höppe: „Mir wurde sogar schon die Frage gestellt, warum wir dies nicht schon vor fünf Jahren gemacht hätten.“ Dass hinsichtlich eines so umfangreichen Projektes aber auch Fragen und Skepsis auftreten, sei nachvollziehbar. „Wichtig ist, dass sich niemand Sorgen machen muss, er müsse die Umstellung allein schaffen. Wir unterstützen und nehmen die Kollegen an die Hand“, erklärt Christian Volk. So erhalten zunächst die Pilotstationen grundlegende Schulungen, die dann auf weitere Stationen ausgeweitet werden.

Wichtig auch: „Für die meisten Mitarbeiter sind nur Teilbereiche des Systems relevant – somit wird es übersichtlicher.“ Damit gerade in der sensiblen Einführungsphase alles klappt, bleiben die drei auch weiterhin Ansprechpartner: „Wir sind dann natürlich darauf angewiesen, dass uns die Kollegen Optimierungsbedarf kund tun, damit wir aktiv werden können“, fordert Englich zum ausgiebigen Testen auf.

„Alles muss so einfach und leicht verständlich wie möglich sein. Man muss mit wenigen Klicks zum Ziel kommen.“

Was sind entscheidende Erfolgsfaktoren für die Einführung? 

„Man muss verstehen, was man tut“, sagt Höppe – dies sei entscheidend für die Akzeptanz. „Wir alle sind nur dann zufrieden und identifizieren uns mit dem System, wenn es an unsere Arbeitsweise und die des Hauses angepasst ist“, ergänzt Englich. Daher versuche man gemeinsam, „alles unter einen Hut zu bekommen“ – und dies bedeutet: „Alles muss so einfach und leicht verständlich wie möglich sein. Man muss mit wenigen Klicks zum Ziel kommen.“

Dies kann nur gelingen, indem die herkömmlichen Abläufe neu beleuchtet und „nebenbei optimiert“ werden: „Wir fragen uns an vielen Stellen: Hat das Relevanz? Führen wir dies weiter? Wie lässt sich das verbessern?“, so Englich. So manches bisher Etablierte muss dann aus guten Gründen weichen. Denn: „Dass etwas schon immer so war, heisst nicht, dass es schon immer gut war“, bekräftigt Höppe.

„Es ist das täglich Brot, mit dem wir arbeiten – das muss funktionieren.“

Welche Rolle spielt die Anpassung der Software an die Bedürfnisse des Hauses?

„80 Prozent des Projektes sind Anpassungen“, sagt Volk. Hierbei gelte es nicht nur, die Software auf die Bedürfnisse der Main-Kinzig-Kliniken auszurichten, sondern auch, auf die Individualität der jeweiligen Fachkliniken gezielt einzugehen – zunächst der Pilotstationen und sukzessive aller weiteren.

Als Beispiel hierfür dient der Beschaffungsprozess der Visitenwägen. Die IT-Abteilung organisierte die Probestellung der Hardware (Visitenwägen, iPods, Durchgangswägen für die Pflege), damit die Nutzer auf der Station herausfinden konnten, was im Arbeitsalltag das praktikabelste und sicherste ist. „Auch wenn wir uns auf einen Hersteller einigen, sind in gewissem Rahmen Individualisierungen möglich“, so Volk. Erfreulich war, dass „das Interesse an den neuen Visiten- und Durchgangswägen groß war und von den Pflegekräften sofort viele Fragen gestellt wurden. Der Bedarf ist da.“

Am Ende sei aber vor allem eines wichtig: die stabile Abbildung des gesamten Arbeitsprozesses, also die tiefe Integration in das KIS. „Es ist das täglich Brot, mit dem wir arbeiten – das muss funktionieren“, fordert Englich.

„Wir finden häufig Mittelwege, neue Wege und letztlich Gemeinsamkeiten.“

Kollegen lernen von Kollegen – wie wichtig ist diese Herangehensweise im Rahmen dieses Projektes?

„Wir haben den Eindruck, dass es hilfreich und wichtig ist, dass wir es sind, die unseren  Kollegen das System und die neue Arbeitsweise erfahrbar machen“, so Englich. Daher verzichte man im weiteren Verlauf des Projektes bewusst auf externe Referenten und setze verstärkt auf kleine, persönliche Lerneinheiten. „Hierdurch fühlen sich viele besser aufgehoben, das gegenseitige Verständnis ist da.“

Ein weiterer Vorteil sei der Austausch zwischen den beiden Standorten Gelnhausen und Schlüchtern: „Ein gutes Beispiel dafür, dass man von bisher unterschiedlichen Herangehensweisen nur profitieren kann – denn wir finden häufig Mittelwege, neue Wege und letztlich Gemeinsamkeiten“, berichtet Höppe.

Worauf freuen Sie sich persönlich am meisten?

„Wenn das System so an den Start geht, wie wir uns das vorstellen und Ärzte und Pflegekräfte es intuitiv verwenden – darauf freue ich mich“, sagt Englich. Höppe führt aus: „Nicht mehr doppelt und dreifach dokumentieren, keine Akten heraussuchen, mobil unterwegs sein und alles dabei haben, den Patienten schneller Antwort geben können“, all dies seien motivierende Punkte für den Echtstart.

Volk fasst zusammen: „Hinter all dem steckt viel Planung. Wir haben uns gründlich Gedanken gemacht, um mit einem vernünftigen Ergebnis an den Start gehen zu können. Und das Ergebnis wird das Bestmögliche sein.“

 

Foto: Main-Kinzig-Kliniken