Wer braucht schon Plutimikation?

Als Kind wären wir wohl alle gern wie sie gewesen oder hätten sie zumindest gern als Freundin gehabt: Seeräubertochter Pippi verzaubert mit ihren kreativen Einfällen, ihrem Humor und großem Herz. Die Figur wurde zu einem außergewöhnlichen Erfolg, und das nicht ohne Grund. Wir alle könnten etwas mehr Pippi-Langstrumpf-Mentalität gebrauchen – gerade in Zeiten des Wandels.


Das eigene Potenzial erkennen
„Lass dich nicht unterkriegen. Sei frech, wild und wunderbar!

Pippi findet sich selbst wunderbar geraten – mit ihrer ganzen Außergewöhnlichkeit. Für sie ist es selbstverständlich, genau so zu sein, wie sie ist. Authentisch zu sein ist die Voraussetzung dafür, den eigenen Weg und die entwickelten Ideen wertzuschätzen und glaubhaft zu vertreten. Kurz: Wir müssen unser Potenzial erkennen, um es sinnvoll zu nutzen. Nur so können wir uns klare Ziele setzen und auch in Zeiten des Wandels entschlossen handeln.

Tommi und Annika: „Der Sturm wird immer stärker!“
Pippi: „Das macht nichts. Ich auch!“


Die Welt neu denken
„Ich mach mir die Welt, widde widde wie sie mir gefällt.“

Aus Pippis Selbstbewusstsein entsteht der Mut, ihr Leben eigenständig und nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Was mir aus Kindertagen am meisten in Erinnerung geblieben ist: Pippi sind konventionelle Regeln und Strukturen schnurzpiepegal. Mit selbstverständlichen Gewohnheiten räumt sie auf leichte und phantasievolle Weise auf, schläft beispielsweise „falsch herum“ mit den Füßen auf dem Kopfkissen, damit sie nachts mit den Zehen wackeln kann. Oder geht rückwärts, damit sie sich auf dem Rückweg nicht umzudrehen braucht. Eigentlich logisch, oder?
Wir können von ihr lernen, Behauptungen infrage zu stellen – ohne Hierarchiedenken. Neue Blickwinkel zu erfinden – ohne Angepasstheit. Etwas zu wagen, zu probieren, die Welt auf eigene Weise zu erkunden – ohne vorgegebene Grenzen.

Pippi schlägt ein neues Spiel vor: „Wir laufen zum Fluss und gehen auf dem Wasser rum!“
Annika: „Auf dem Wasser kann man nicht rumlaufen!“
Pippi lacht: „Doch, das kann man wohl! Man kann alles, was man will!“


Lernen, weil es Spaß macht
„Die Leute sind auch dumm! In der Schule lernen sie Plutimikation – aber sich was Lustiges ausdenken, das können sie nicht.“

Mit dem klassischen Lernen kann Pippi nichts anfangen, im Gegenteil: Sie empfindet es als Zeitverschwendung. Dennoch ist sie blitzgescheit, aufmerksam und neugierig. Ihre Ideen und Erfindungen bringen andere zum Staunen. Pippi zeigt uns, dass Wissenshunger von alleine kommt, wenn man ihn lässt. Und dass die wichtigsten Dinge nicht im Lehrbuch stehen, sondern wie Schätze sind, die auf natürliche Weise um uns herum sind.

„Ich werde jedenfalls nicht auf der faulen Haut liegen. Ich bin nämlich ein Sachensucher, und da hat man niemals eine freie Stunde… Die ganze Welt ist voll von Sachen, und es ist wirklich nötig, dass jemand sie findet.“


Andere motivieren und begeistern
„Das haben wir noch nie probiert. Also geht es sicher gut.“

Pippi weiss ganz genau, dass nicht alle so denken wie sie. Um sie herum sind Erwachsene, die sich für schlauer halten und brave Kinder, die sich ungern schmutzig machen. Sie geht auf sehr besondere Weise damit um. Denn: Sie wertschätzt andere wie sich selbst, geht über Zögern und Ängste nicht hinweg, sondern darauf ein. Involviert, inspiriert, begeistert. Pippi ist stets mit ganzem Herzen dabei und lädt andere dazu ein, es ihr gleich zu tun.

Pippi erzählt Tommi und Annika freudig von den „Krummeluse Pillen“, nach deren Einnahme man angeblich nicht erwachsen wird. Zu beachten ist jedoch, dass man bei der Einnahme sagen muss: „Feine kleine Krummelus, lass mich niemals werden gruß!“, und sollte man statt „gruß“ versehentlich „groß“ sagen, passiert das Gegenteil dessen, was man sich als Kind wünscht: Man wächst plötzlich wie eine Giraffe.
Annika daraufhin: „Ich glaube, ich werde nie eine von den Pillen einnehmen. Stellt Euch vor, wenn wir es falsch sagen!“ Pippi: „Ich helfe Euch. Dann kann nichts schiefgehen.“


Sich für das Gute einsetzen
„Wenn ich überhaupt eine bestimmte Absicht mit der Figur der Pippi hatte, dann die, dem Leser zu zeigen, dass man Macht besitzen kann, ohne sie zu missbrauchen.“ (Astrid Lindgren)

Ja, Pippi ist stark, sie kann ihr Pferd anheben. Und ja, Pippi ist reich, sie besitzt einen ganzen Koffer voller Goldstücke. Aber all dies nimmt sie nicht allzu wichtig, und vor allem: Sie nutzt ihre Vorteile nicht aus. Wohl aber stiftet sie zum Guten an, ist fürsorglich und großzügig. Sie setzt sie sich für das Recht der Schwachen ein, indem sie beispielsweise eine Bande Jungs verblüfft, die einen Kleineren ärgern. Dieben schenkt sie schonmal ein Goldstück. Und selbst wenn sie Polizisten zum Narren hält, zeigt sie uns, dass man Konflikte fair und mit Humor lösen kann.

„Oh, ich muss heute wieder einen Glückstag haben. Polizisten sind das Beste, was ich kenne – gleich nach Rhabarbergrütze.“

Das, was Pippi seit über 70 Jahren auf kindlich-naive Weise verkörpert, nennt man heute soft skills. Sie haben seitdem nichts an Aktualität oder Relevanz eingebüßt, ganz im Gegenteil. Empathie, Inspiration und Begeisterung sind Fähigkeiten, die uns von Maschinen unterscheiden und die wir für den digitalen und gesellschaftlichen Wandel dringend brauchen. Dazu gehört die Bereitschaft, Strukturen und althergebrachte Denkmuster zu durchbrechen, genauso wie der Wille, auf dem Weg in eine neue Zeit auch diejenigen Menschen mitzunehmen, die nicht ganz so schnell oder mutig sind wie man selbst.

„Alles, was an Großem in der Welt geschah, vollzog sich zuerst in der Fantasie eines Menschen“, so Astrid Lindgren einst. Pippi würde wohl sagen: „Kommt mit! Ich hab mir ein neues Spiel für uns ausgedacht. Und ihr werdet sehen: Es ist das Beste, das es auf der ganzen Welt gibt.“

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