Was wir von einem alten Leuchtturm lernen können

Es gibt sie. Manchmal, in einem unerwarteten Moment, sind sie da. Diese Geschichten, die besonders sind. Die man morgens liest und die einen so berühren, dass man den ganzen Tag daran zurückdenkt. Die etwas in einem auslösen. So eine Geschichte durfte ich heute morgen lesen. Für manche ist sie vielleicht nicht spektakulär – für viele Dänen aber sehr wohl. Denn es geht immerhin um das Wahrzeichen der dänischen Nordseeküste.

Rubjerg Knude Fyr, der Leuchtturm der Rubjerg-Erhebung, 23 Meter hoch, 700 Tonnen schwer, begab sich gestern auf eine Reise. „Einen alten Baum verpflanzt man nicht“, heisst es – und wer weiß, hätten die Projektverantwortlichen, Maurermeister und Tourismusexperten den Leuchtturm selbst fragen können – vielleicht hätte er geseufzt und gesagt: „Ich bin 120 Jahre lang meiner Bestimmung an genau dieser Stelle nachgekommen. Lasst mich hier stehen, inmitten dieser Wanderdüne, bis mich das Meer holt.“ Aber es sollte anders kommen: Der alte Leuchtturm wurde hydraulisch angehoben und auf Schienen 80 Meter ins Landesinnere versetzt – weit genug weg von der vorher nur sechs Meter entfernten Steilküste. Mehr als 1000 Schaulustige wohnten dem ungewöhnlichen Umzug bei, das dänische Fernsehen übertrug stundenlang im Livestream, das Projekt kostete rund 670.000 Euro.

Ich mag Leuchttürme sehr. Sie weisen den Weg, sie leuchten von innen (statt an der Oberfläche zu glänzen), auf stolze und gleichzeitig uneitle Weise trotzen sie Wind, Wetter und der Zeit. Dass auch sie verletzlich sind, zeigt die Geschichte von Rubjerg Knude Fyr. Schon seit einem halben Jahrhundert weist er den Schiffen nicht mehr den Weg. Wie wichtig er den Dänen dennoch ist, lässt sich anhand der Aussage des Maurermeisters Kjeld Pedersen erahnen, der sich anderthalb Jahre auf diesen Tag vorbereitet hat:

„Ich habe viele Häuser gebaut“, sagt er, „aber wenn das hier klappt, dann werde ich stolz sein wie der Papst.“

Und genau dies war der Satz, der den gesamten Artikel, die ganze Geschichte, für mich so unfassbar klar auf ein Wort zusammenfasst. Und dieses Wort lautet: Sinnhaftigkeit.

Was ist erfüllender, als sein ganzes Wissen, seine Erfahrung, die modernste Technik und alle Leidenschaft dafür einzusetzen, einen Leuchtturm zu retten? Ich wage zu behaupten, Pedersen tat dies nicht für die 250.000 Touristen pro Jahr, nicht für die Zuschauer vor Ort und an den TV-Geräten, nicht für sein Ego oder seine Karriere. Er tat es ganz einfach für den Leuchtturm, den Wächter über eine dramatische Landschaft. Weil er ihm und vielen anderen etwas bedeutet.

Und genau dies macht für mich Sinnhaftigkeit aus – zu tun, was man liebt und sich dafür einzusetzen, dass es gelingt. Mit Leidenschaft und Mut. Zusammen mit anderen, die das gleiche Ziel vor Augen haben, die das Scheitern nicht fürchten, sondern sich ermutigen, bestärken, High Fives verteilen. Jeder, der dies in seinem Leben – und in seinem Job – verspürt, darf sich glücklich schätzen. Und so schön die Geschichte von Rubjerg Knude Fyr ist, für dieses Gefühl braucht es keinen Leuchtturm. Es braucht die Auseinandersetzung mit den Fragen:

Was begeistert mich? Was möchte ich meinem Umfeld geben? Worin bin ich gut? Was lässt mich stolz sein wie der Papst?

Und noch etwas können wir von diesem Leuchtturm lernen. Wechseln wir noch einmal die Perspektive. Da steht er nun, der alte Leuchtturm, ruht sich aus nach seiner aufregenden, vielleicht letzten Reise. Es gibt einiges, was er nicht (oder nicht mehr) kann, wir aber schon. Nämlich:

unsere Bestimmung kennen, aus unserem wahren Inneren heraus handeln und „leuchten“,

darauf vertrauen, dass die Zukunft Gutes bringt, trotz des Wandels um uns herum,

um Unterstützung bitten und diese annehmen – nicht erst, wenn wir drohen umzufallen,

demütig sein und einfach mal „Danke“ sagen.

Danke, liebe Dänen, für Euren Einsatz und diese mutmachende Geschichte!


Bild: Gunnar Bach Pedersen, https://commons.wikimedia.org

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