Glückliche Dänen

Ob Glücks-Ranking oder Digitalisierungsgrad, Dänemark ist uns meilenweit voraus. Ein lohnender Blick in den Norden – in ein kleines Land, das mit seinem Gesundheitswesen mutige und konsequente Schritte geht.

„Neun Zehntel unseres Glücks beruhen allein auf der Gesundheit.“ (Arthur Schopenhauer)

Fragt man sich, wo das Glück der Welt zuhause ist, so findet der „World Happiness Report“ hierauf eine eindeutige Antwort: Im Norden. Die Rangliste der glücklichsten Länder wurde in den drei letzten Jahren beständig von Dänemark angeführt. In diesem Jahr erzielte Norwegen den ersten Platz. Allerdings ganz knapp. Klar ist: Die Dänen machen anscheinend ziemlich viel ziemlich richtig.

Was trägt zu unserem Glücksempfinden bei? In der internationalen Studie, die sowohl Länderdaten als auch Befragungen der jeweiligen Bewohner einbezieht, dreht es sich insbesondere um Gesundheit, Zugang zu medizinischer Versorgung, Familienbeziehungen, Arbeitsplatzsicherheit sowie um soziale und politische Faktoren. Der Gedanke, Gesundheit sei das größte Glück, kommt also nicht von ungefähr. Und es scheinen auch keine Zufälle zu sein, dass in Dänemark mit „hygge“ die Gemütlichkeit tagtäglich gelebt wird oder das Land zu den fahrradfreundlichsten Ländern Europas gehört. Glück entsteht, wenn die eigene Einstellung zum Leben und die vorherrschenden Strukturen des Lebensumfelds zusammenpassen. Beides für sich betrachtet scheint sich von den Gegebenheiten in Deutschland deutlich zu unterscheiden.

Eine gesunde Zukunft braucht Investitionen

Also was macht das Königreich anders? Zunächst eine vielleicht unerwartete Tatsache: Die Steuerlast der Dänen ist vergleichsweise hoch. Dafür leisten sie sich aber beispielsweise nicht nur ein bekanntes hochgelobtes Bildungssystem, sondern auch ein Gesundheitssystem, das es wert ist, mehr als nur einen Blick darauf zu werfen. Möchte man dessen Anspruch und die aktuelle Entwicklung zusammenfassen, kommt man an Begriffen wie „Effizienz“, „Top-Qualität“ und „Digitalisierung“ nicht vorbei. Nichts Neues, möchte man meinen? All das wollen wir in Deutschland doch auch? Ja, wollen wir. Aber die Dänen haben es einfach gemacht. Und zwar schon lange. Das kleine Land im Norden ist uns in Bezug aufs Gesundheitswesen lockere zehn Jahre voraus.

Am Beispiel von Svea, einer durchschnittlichen Dänin, schauen wir uns das mal genauer an. Svea ist jetzt 30 und wird wahrscheinlich 81 Jahre alt werden. In ihrem Heimatland hat man erkannt, dass die Versorgung der alternden Bevölkerung bald nicht mehr finanzierbar sein wird und hat allerhand umgekrempelt. Im Grunde aber stellt sich für Svea alles recht übersichtlich dar: Schließlich gibt es nur eine gesetzliche Krankenversicherung für alle. Das Gesundheitswesen ist in staatlicher Hand, über Sveas Steuerzahlungen ist automatisch alles abgedeckt. Mehr als 120 Krankenkassen? Zusätzliche Versicherungsbeiträge? Nein, solch komplizierte Strukturen kennt sie nicht.

Konzentration aufs Wesentliche

Als Svea 1987 geboren wurde, gab es im ganzen Land noch 87 Kliniken. Dies sah im Jahr 2010 schon ganz anders aus: 28 Krankenhauseinheiten an 72 Standorten, Tendenz weiter sinkend. Auch in Sveas Nachbarstadt gab es in ihrer Kindheit noch eine Klinik. Nun aber setzt man auf wenige, dafür große Kliniken. Übers ganze Land verteilt entstehen 16 hochmoderne Superkrankenhäuser, davon sieben komplett neue Standorte auf der grünen Wiese. Mehr als sechs Milliarden Euro lässt sich der Staat dies kosten. Ganz schön viel, findet Svea, aber irgendwo müssen die Unmengen Steuern ja hin.

Welche Dimensionen solche Bauprojekte annehmen können, verdeutlicht das Beispiel Aarhus, ein Klinikstandort, der sich ziemlich genau in der Mitte des Landes befindet. Das hiesige Uniklinikum lässt bis zum Jahr 2019 mehr als 220.000 Quadratmeter Neubau entstehen. Auf der Internetseite VisitAarhus kann Svea lesen: „Das Gebiet wird sich zu einem der wesentlichsten nordeuropäischen Zentren für Gesundheits- und Wohlfahrtstechnologie entwickeln. Rund um das Krankenhaus entstehen Zentren für Innovation, Unternehmensentwicklung, Forschung und Ausbildung. Das neue Krankenhaus wird 100.000 stationäre und 900.000 ambulante Patienten jährlich medizinisch versorgen, es beschäftigt 9.000 Mitarbeiter.“

Aarhus ist weit entfernt von Sveas Wohnort. Aber wie viele Dänen ist sie der Meinung: Lieber ein Top-Krankenhaus in etwas weiterer Entfernung als ein durchschnittliches in Wohnortnähe. Schließlich bekommt sie eine Klinik sowieso selten zu Gesicht. So wie nahezu alle, die sie kennt, ist Svea fest bei einem Hausarzt in ihrer Stadt registriert, der ihr als feste Anlaufstelle dient und nahezu alle ihre Behandlungen abschließt. Fachärzte mit eigener Praxis gibt es nur wenige. Sollte Svea eine Krankenhausbehandlung benötigen, wird sie schnellstmöglich einer Klinik mit freien Kapazitäten zugewiesen und bleibt dort im Schnitt nur knapp vier Tage.

Digital Health ist Alltag

Mit Hochdruck wird daran gearbeitet, dass die verbleibenden Häuser auf dem neuesten Stand sind: personell, baulich, technisch, strukturell. Rund ein Fünftel der Neuinvestitionen werden allein für Medizintechnik und EDV ausgegeben. Klar, dass dann auch der Weg dorthin perfekt organisiert ist: Als Sveas Opa mit Verdacht auf Herzinfarkt in eine Klinik mit spezialisierter Abteilung eingeliefert wurde, musste der Krankenwagen zwar mehr als 100 Kilometer zurücklegen – dafür aber wurde mit der Behandlung sofort begonnen: Bereits im Rettungswagen wurden ein EKG angelegt, die gemessenen Daten in die Klinik übermittelt, der spezialisierte Arzt per Video zugeschaltet und notwendige Medikamente verabreicht.

Vernetzung, Telemedizin, eHealth – Was in Dänemarks Nachbarländern teilweise langwierig diskutiert wird, ist für Svea selbstverständlicher Alltag. Bereits seit 14 Jahren ist die Website „sundhed.dk“ (deutsch: Gesundheit) online, das staatliche nationale Gesundheitsportal. Sobald sie sich hier mit ihrem Passwort einloggt, hat sie Einblick in ihre vollständig elektronische Patientenakte, auf die auch alle Ärzte, Pflegefachkräfte, Therapeuten, Apotheker und sonstige Experten zugreifen können. Hiermit ist es beispielsweise möglich, ihre medizinische Vorgeschichte in aktuelle Behandlungen einzubeziehen und erhobene Laborwerte abzurufen. Auch hat sie Zugriff auf die Wartelisten der Kliniken sowie aktuelle Gesundheitsprogramme. Sie kann Arzttermine online vereinbaren, selbst gemessene Vitaldaten einspeisen, Rezepte elektronisch erneuern und eine Patientenverfügung festhalten. Zudem schätzt Svea es besonders, die Abrechnungen einsehen und überprüfen zu können. So wird jede Behandlung für sie nachvollziehbar.

Übertragbares Erfolgsmodell?

All dies stößt bei den dänischen Landsleuten im Allgemeinen auf große Akzeptanz, nicht zuletzt, da so auch das Qualitätsmanagement digital unterstützt wird. Ob „Super Hospital Program“ oder eHealth: Die Dänen haben erkannt, wie wichtig die konsequente Erhöhung von Effizienz und Qualität ist – bei gleichzeitigem Festhalten am freien und gleichen Zugang zum Gesundheitswesen. Das dänische Modell scheint eine Erfolgsgeschichte zu sein – die dennoch nicht auf Deutschland übertragbar ist. Zumindest nicht im Ganzen. Zu bedenken ist, dass in Deutschland rund 14 mal mehr Menschen leben als in Dänemark. Ein radikaler Umbruch nach dänischem Modell würde laut Experten rund 80 Milliarden Euro kosten – eine Investition, die ebenso unrealistisch ist wie die Vorstellung, dass es in ganz Deutschland dann nur noch 330 Kliniken statt wie bisher mehr als 2.000 gäbe.

Vertrauen lernen, Veränderung einfordern

Dennoch sollten wir genau hinsehen. Auch wenn der Druck, digital zu denken, in Deutschland bisher noch gering ist. Zu selbstverständlich erscheinen uns die langjährig gewachsenen und teilweise festgefahrenen Strukturen. Ein Beispiel: Während Svea ihre Überweisungen mit ein paar Klicks online abwickelt, ging es mir neulich wie folgt: Meine Überweisung zum Facharzt war abgelaufen, bevor der dortige Termin stattfinden konnte. Ich musste mir also eine neue Überweisung fürs aktuelle Quartal holen. Nur des Papiers wegen fuhr ich also in die Hausarztpraxis und verbrachte dort rund 15 Minuten im Wartezimmer. Sodann fuhr ich mit dem wertvollen Ausdruck weiter zum Facharzt. Dort füllte ich auf einem Klemmbrett erst einmal einen Fragebogen zur medizinischen Vorgeschichte aus. Im Hinblick auf die Qualität meiner Behandlung ist zu hoffen, dass ich aus der Erinnerung spontan alles einigermaßen richtig wiedergegeben habe.

Ich denke, wir alle kennen solche Situationen. Wir nehmen sie hin, weil wir es nicht anders kennen. Das Beispiel Dänemark zeigt, dass es auch anders gehen kann. Es muss nicht immer der große Wurf, nicht der große Umbruch sein. Dafür ist unser Land anscheinend nicht gemacht. Aber schon kleine Schritte in die richtige Richtung werden helfen, die Qualität unserer Versorgung entscheidend zu verbessern. Ein Vertrauensvorschuss ist also angebracht – von all denen, die das Gesundheitswesen mitgestalten und gerade von uns Patienten.

Deutschland belegt im „World Happiness Report“ übrigens Platz 16. Es ist also noch gehörig Luft nach oben. Die Offenheit gegenüber Neuem und der Mut, neue Technologien auszuprobieren und voranzutreiben, werden uns auf diesem Weg helfen. Auch, wenn man über die Geschwindigkeit streiten kann: In unserem Land bewegt sich was. Zum Glück!

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