eCard – Sportwagen oder lahme Ente?

Die elektronische Gesundheitskarte im Interview. Jeder redet über sie – jetzt ergreift sie selbst das Wort und fordert: „Lasst mich endlich den Job machen, für den ich angetreten bin!“

„Vorerst ist sie wie ein Sportwagen, der in der Garage auf seinen Einsatz lauert.“ (Bundesministerium für Gesundheit, 01/15)

Liebe elektronische Gesundheitskarte, schön, endlich mal persönlich mit Ihnen zu sprechen. Wie geht es Ihnen heute?

Zunächst: Ich denke, wir können uns duzen. Immerhin trägst du mich täglich in deinem Portemonnaie herum.

Wie es mir geht? Nun ja, nach einer quälenden Phase des Stillstands waren die letzten Monate ein Auf und Ab für mich. Während manche mich für überflüssig halten, loben mich andere in den Himmel. Unzählige Experten doktorn an mir herum – und das seit über zehn Jahren. Wenigstens habe ich dank Wahlkampf endlich mal die Aufmerksamkeit, die ich verdiene.

Das klingt, als wärst Du ziemlich frustriert.

Seien wir ehrlich, die Situation ist alles andere als optimal. Mein Chef (Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, Anm. d. Red.) kündigt mich als rasanten Sportwagen an, allgemein wahrgenommen werde ich jedoch als lahme Ente. Ich kann die Unzufriedenheit und Ungeduld natürlich verstehen. Aber: Für meine Gegner bin ich ein unnötiger Kostenfaktor. Sie würden mich am liebsten verschrotten, bevor man mich überhaupt auf die Straße gelassen hat. Das wird mir nicht gerecht.

Immerhin hast Du bereits 1,7 Mrd. Euro gekostet – ein ziemlich teurer Sportwagen, oder?

Das ist richtig, die digitale Entwicklung hat ihren Preis. Aber glaube mir: Ich bin das auch wert! Zumindest dann, wenn man mich endlich mit den Komponenten ausstattet, die man mir versprochen hat, als ich diesen Job angenommen habe. Und, bevor man die Garage öffnet, den so wichtigen Weg ebnet. Das heißt: Die digitale Datenautobahn muss auf- und ausgebaut werden. Dann werde ich zeigen, was in mir steckt und aus dem Alltag der Deutschen nicht mehr wegzudenken sein.

Dafür, dass einige dich für einen Totalschaden halten, bist du ziemlich selbstbewusst.

Ohne Zuversicht kann dieses komplexe Großprojekt nicht gelingen. Leider wird die Allgemeinheit derzeit gezielt verunsichert. Ich weiß, was ich kann – und das ist eine Menge.

So werde ich beispielsweise wichtige Notfalldaten speichern, damit meine Nutzer sie sofort zur Hand haben, wenn es darauf ankommt. Ein aktueller Testlauf war bereits ein voller Erfolg. Außerdem werde ich den persönlichen Medikationsplan der Patienten bereithalten. Kannst du dir vorstellen, dass in unserem Land mehr Menschen durch unerwünschte Arzneimittelwirkungen sterben als im Straßenverkehr? Ich habe mir vorgenommen, dies zu ändern. Und das ist erst der Anfang. Langfristig werden sich die Patienten dank mir viel besser über ihre Diagnosen und Therapien informieren können und ihre Gesundheit aktiv mitgestalten.

Klingt sinnvoll. Aber warum ist der Bau der digitalen Autobahn so schwierig?

Weil es sich um ein gigantisches Netz handelt, das alle Beteiligten – von der Großstadt bis ins kleinste Dorf – miteinander verbinden soll. Wir reden hier über 70 Millionen Versicherte, 200.000 Praxen, 2.000 Krankenhäuser und 21.000 Apotheken. Bitteschön ohne Stau und Unfälle. Leider gelingt das gerade nur im Schritttempo – und selbst das nur, wenn alle an einem Strang ziehen.

Genau das ist das Problem: Deine Akzeptanz. Viele fürchten, du würdest nur Daten sammeln und diese in fremde Hände geben.

Das ist die typische Unterstellung meiner Blockierer. Ich aber sage ganz klar: Ich habe den Nutzen der Patienten im Blick. Ich bin entschlossen, Leben zu retten und zu verbessern.

Dass man in Deutschland Neuem gegenüber misstrauisch ist, war mir klar. Es ist das Land der Bewahrer. Dass man sich mit der Digitalisierung allerdings so schwer tut, hätte auch ich nicht gedacht. Ich Ierne gerade damit umzugehen. So habe ich mich auch mit meinen Kollegen darüber unterhalten. Die EC-Karte beispielsweise, die ja ebenfalls ein Schlüssel zu hochsensiblen Daten ist, berichtete mir, auch sie musste sich das Vertrauen erst erarbeiten. Inzwischen hat sie einen festen Platz im Alltagsleben ihrer Nutzer. Das stimmt mich zuversichtlich.

Auch für mich hat der Datenschutz höchste Priorität. Für die größtmögliche Sicherheit wird daher viel getan. Beispielsweise werde ich mit meinem Kollegen, dem elektronischen Heilberufsausweis, von Anfang an im Team arbeiten, damit alles reibungslos klappt. Er steht ebenfalls hoch motiviert in den Startlöchern.

Wie müssen wir uns diese Zusammenarbeit vorstellen?

Nach dem sogenannten Zwei-Schlüssel-Prinzip sind wir beide nötig, damit der behandelnde Arzt Zugang zu den gespeicherten Informationen erhält. Außerdem schützt der Patient seine Daten mit einer persönlichen PIN-Nummer. Ich bin mir meiner Verantwortung bewusst und gebe die mir anvertrauten Daten nicht so einfach her, wie viele denken. Und vor allem nicht an jeden.

Der Patient hat also selbst in der Hand, wer die Daten erhält?

Ja. Ich bin nur der Träger bzw. Schlüssel. Der Patient ist Herr seiner Daten. So einfach ist das.

Vielen geht die technische Entwicklung zu langsam voran. Sie basteln an eigenen Systemen, zum Beispiel die Techniker Krankenkasse.

Das verfolge ich mit großem Interesse, aber gemischten Gefühlen. Einerseits geben mir innovative Ideen natürlich Mut und Rückenwind. Andererseits sind da zwei Aspekte, auf die wir achten sollten.

Erstens: Einzelne Projekte werden nur dann von Nutzen sein, wenn sie an das Gesamtprojekt – also an die große Autobahn – angebunden werden. Stell dir nur mal vor, eine Arztpraxis müsste viele verschiedene Systeme bespielen. Das wäre alles andere als nutzerfreundlich und würde zudem wertvolle Zeit kosten. Zeit, die man lieber den Patienten widmen sollte.

Zweitens: Selbst wenn es sich bei den anderen Systemen und Apps um technisch ausgefeilte, bunt lackierte Sportwagen handeln sollte, die vor mir in Fahrt kommen – Sie alle brauchen klare Qualitäts- und Sicherheitsvorgaben. Sozusagen einen Daten-TÜV, damit die Patienten nicht sorglos einsteigen. Schließlich wollen wir ja nachhaltiges Vertrauen gegenüber digitalen Anwendungen aufbauen und nicht zerstören.

Wie lautet der Kurs für die nächsten Monate?

Ich hoffe, dass jetzt alle Beteiligten endlich mal die Bremse loslassen. Damit ich endlich den Job machen kann, für den ich angetreten bin. Bis Ende nächsten Jahres sollte es gelingen, die Strukturen zu schaffen, damit jeder auf die Autobahn auffahren kann. Wichtig ist, dass wir unser Ziel im Blick behalten. Kurzum: Wir müssen uns gegenseitig Orientierung geben. In Zeiten des Wandels kann keiner alleine navigieren, das geht nur gemeinsam.

Vielen Dank für das Gespräch.

Sehr gern. Allen Lesern wünsche ich einen schönen Tag und viel Gesundheit.

 

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