Welcome to the Revolution

„pure genius“, die neue Krankenhaus-Serie bei ProSieben, nimmt uns mit in eine „schöne neue Welt“. Spitzenmedizin, die keine Grenzen kennt. Sieht so das Krankenhaus der Zukunft aus?

„Ich wollte schon immer ein Gehirn programmieren!“ (James Bell in „pure genius“)

Es scheint wie ein anderer Planet, zumindest wie eine eigene kleine Welt: ein Krankenhaus im Silicon Valley. Selbstverständlich hochtechnisch, optisch clean, komplett vernetzt. Überdimensionale Videowände präsentieren wahlweise Patientendaten oder das Weltall. Eine HighTech-Kommandozentrale erinnert unweigerlich an Raumschiff Enterprise. Und der Klinikgarten wirkt so paradiesisch, dass man sich fragt, ob man vielleicht auf dem Holodeck ist. Noch nicht mal Parkplatzprobleme gibt es im Bunkerhill Hospital.

Geht nicht, gibt’s nicht

Wer eine realistische Krankenhaus-Serie (falls es das überhaupt gibt) erwartet hat, dürfte wohl nach zehn Minuten augenrollend abgeschaltet haben. Doch wer sich auf das Abenteuer Zukunft einlässt, erlebt eine Vision, die sämtliche eHealth-Szenarien in den Schatten stellt. Denn Milliardär James Bell führt dieses Krankenhaus nach einem revolutionären Motto. Don´t think outside the box – think like there is no box. Will heißen: grenzenlose Medizin, geniale Ärzte und Technologen, weder Bürokratie noch Hierarchie. Lediglich „die beste Idee zählt“. Und über allem prangt das Unendlichkeits-Logo.

Wenn es kein Heilmittel gibt, wird es erfunden. Oder mal eben der 3D-Drucker angeschmissen. Körperscans und Chip-Implantate gehören zum Alltag, ein Hautaufkleber misst sämtliche Vitalparameter und schickt diese, ebenso wie den Standort des Patienten, direkt aufs Handy des behandelnden Arztes. Die Bücher im Hintergrund passen irgendwie nicht in das papierlose Ambiente.

Happy End vorprogrammiert

„Ich werde alles Menschenmögliche tun, um jeden zu retten, der durch diese Tür kommt“ – das ist der Anspruch des Genies Bell, einer Mischung aus Steve Jobs, Dr. House und McDreamy. Und vielleicht sogar Mutter Teresa, denn eine Behandlung im Bunkerhill ist kostenlos. Und so schaut man schmunzelnd und fasziniert zu, wie Algorithmen in Sekundenschnelle Diagnosen erstellen und scheinbar mühelos mysteriöse Krankheiten geheilt werden. „Langwierig“ gilt nicht, das Team will Heilung, und zwar sofort – was dank des optimalen Zusammenspiels von Mensch und Maschine auch gelingt. So kommt am Episodenende eine eigenartig surreale Traumschiff-Stimmung auf.

Alles für eine bessere Welt?

Also, wo ist der Haken? Ist es das, was auf uns zukommt, wenn wir über Gesundheit 4.0 reden? Es sind zahlreiche Fragen, die sich dem Zuschauer rund um diesen Klinik-Prototypen stellen. Klar, dass dies zunächst den Datenschutz betrifft. Ein vollkommen gläserner Patient. Ein Team, das wie selbstverständlich auf dessen Profile in sozialen Netzwerken sowie die Überwachungskameras verschiedener Städte zugreift. Dies ist das Gegenteil dessen, was wir uns unter verantwortungsvollem Umgang mit Daten vorstellen.

Hinzu kommt: Revolutionäre Ideen bergen immer ein Risiko. Und das tritt nicht dadurch außer Kraft, dass die Patienten eine beschränkte Lebensdauer haben. Die Bunkerhill-Ärzte führen Behandlungen durch, gegen die sie teilweise selbst Vorbehalte hegen. Ihre Verantwortung gegenüber Patienten kommt einem Spiel mit zu erreichenden Bonuspunkten gleich. Der Patientenwille ist mitunter zweitrangig, die umfassende Aufklärung spielt eine untergeordnete Rolle: „Ich bin ein Fan von kurzen Besprechungen“, sagt Bell.

Die Mediziner gehen an die Grenze des Machbaren – sogar darüber hinaus. Und sie gehen an ihre eigene Grenze. Eine 80-Stunden-Woche ist das Eine. Der selbst auferlegte Druck, welcher mit dem unmissverständlichen Versprechen der Heilung verbunden ist, das Andere. „Schlechte Nachrichten gibt es nicht“, heißt es – was für ein Drama.

Unglaubwürdige Vision

Am Ende bleibt die Frage: Würden wir solch einem Krankenhaus unser Vertrauen schenken? Die Zuschauer quittierten die Serie bisher eher mit Desinteresse: In den USA wurde sie nach 13 Episoden abgesetzt, und auch der Start in Deutschland verlief den Quoten nach eher enttäuschend. Was vielleicht daran liegt, dass das Szenario gnadenlos überzogen ist, die Technologie befremdlich wirkt und die Tränendrüse etwas zu oberflächlich bemüht wird.

Und doch ist da eine Sache, die wirklich fasziniert: das Leuchten in den Augen der Ärzte. Ihr glaubwürdiger Traum davon, die Welt zu retten – und sei es um jeden Preis.

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