Pinguin, erkenne Dich!

Die Welt wandelt sich – und mit ihr die Arbeitswelt. Das, was wir bisher für richtig und unumkehrbar hielten, wird in Zeiten beschleunigter Digitalisierung verschwimmen und sich auflösen. Nirgendwo wurde das so komprimiert deutlich wie im Rahmen der New Work Experience (NWX18) – der größten deutschsprachigen Konferenz zur Zukunft der Arbeit, welche XING Anfang März im Herzen Hamburgs veranstaltete. Immer wieder fielen Begriffe wie Werte und Wertschätzung, Sinn und Sinnhaftigkeit, Beziehung und Beziehungsmanagement. Es war unmöglich, die Konferenz zu verlassen, ohne tief inspiriert zu werden.

Über 40 Stunden Programm, mehr als 80 Speaker, diese fasst man nicht mal so eben zusammen. Doch was sowohl die Redner, als auch die Teilnehmer miteinander verband, war – gerade in Zeiten technologischen Fortschritts und digitaler Transformation – der gemeinsame Blick auf die Rolle des Menschen. Eine Rolle, die geprägt ist sowohl von Rückbesinnung als auch Voranschreiten, von Selbstentfaltung und gemeinsamem Miteinander – all dies, ohne widersprüchlich zu sein.

In der Digitalisierung wird vieles ersetzt werden, jedoch nichts, wobei es auf Empathiefähigkeit ankommt, machte der Philosoph Richard David Precht deutlich. Und auch dm-Gründer Götz Werner war sich sicher, dass Menschen ein Umfeld benötigen, das verstehbar, gestaltbar und sinnhaft ist. Im Mittelpunkt stand also die Frage: Wie wollen (statt: wie sollen) wir in Zukunft arbeiten?

Vor genau diesem Hintergrund hat mich insbesondere der Auftritt von Bodo Janssen (Upstalsboom) und Pater Anselm Grün (Kloster Münsterschwarzach) tief bewegt und beeindruckt. Während ihres Vortrags „Die Kunst sich selbst und andere zu führen“ platzte nicht nur die Veranstaltungshalle nahezu aus allen Nähten, sondern auch fast mein Herz vor Inspiration und Mitempfinden. Sie zeigten eine Vision des Arbeitens auf, die mühelos klingt, aber nicht wenig Mühe macht. Die einen Perspektivwechsel erfordert: Weg von sich selbst, näher dran an seine Mitmenschen – und zwar auf ehrliche, authentische, einfach menschliche Weise.

Schon Götz Werner wünschte sich mehr Licht für das Publikum statt für ihn als Bühnenredner – denn: „Wer mit seinen Kunden sprechen will, muss sie sehen!“ Also: Licht an, schauen wir gemeinsam hin: Wie wollen wir morgen miteinander umgehen und vor allem: miteinander arbeiten?

Bei sich selbst anfangen

Andere zu führen setzt zunächst voraus, sich selber zu führen, machte Pater Anselm deutlich. Sich erkennen und annehmen, mit sich selbst in Einklang kommen – für viele ist das keine leichte Übung. Doch diese sei unumgänglich, denn: „Was ich bei mir nicht kenne, projiziere ich auf andere“, so der Pater.

Wir sollten uns also die Fragen stellen: „Wohin führe ich mich als Mensch? Wofür stehe ich auf? Was ist für mich wesentlich?“, erklärte Bodo Janssen. Diese Offenheit mit sich selbst und gegenüber anderen führe zu Resonanz im Team: Es entstehe eine Verbindung und die Chance, Gemeinsamkeiten auf menschlicher Ebene erkennen. Janssen sagt: „Zeig dich einfach als Mensch – auch, wenn das heißt zu sagen: Ich habe nicht immer auf alles eine Antwort.“

Gelingende Beziehungen schaffen

Auch in Unternehmen ist das Parship-Prinzip anwendbar: Es gilt Menschen zueinander zu bringen, die zueinander passen. Entscheidend sei also die Frage: „Was macht eine gelingende Beziehung zwischen Menschen aus?“, so Janssen. Entscheidend sei vor allem ein gemeinsames Verständnis: „Wofür setzen wir uns ein? Was sind deine Werte, was hält dich, wonach sehnst du dich?“ Dies sei die Basis dafür, sich unserer individuellen Talente und Stärken bewusst zu werden.

Eine gelingende Beziehung setze ein positives Menschenbild voraus, ist sich Pater Anselm sicher: „Mit der Haltung, mit der ich Menschen begegne, verwandelt sich die Beziehung.“ Um wohlwollend gegenüber anderen zu sein, helfe es häufig, „nicht in Richtig-Falsch-Dimensionen zu denken, sondern in Ursache und Wirkung“, sagt Janssen: „Jeder versucht doch immer, das Beste zu geben.“ Aber manchmal habe er seinen Platz eben noch nicht gefunden, wie folgendes Beispiel zeigt: „Ein Pinguin kann nicht auf den Baum klettern. Also lade ich ihn ein, sich als Pinguin zu erkennen. Und zeige ihm den Swimmingpool.“

Rituale statt Standards

„Schaffen wir ein neues Bewusstsein: Wir sind miteinander auf dem Weg“, schlägt Pater Anselm vor. Hierfür könne es helfen, mit einem Ritual in den Arbeitstag zu starten und sich darüber bewusst zu werden, mit welchem „Bild im Kopf“, mit welchen Gefühlen, Wünschen und Hemmnissen der Tag beginnt.

Auch Team-Rituale seien empfehlenswert. So können sich Mitarbeiter die Fragen stellen: „Wer bin ich? Was macht mich einzigartig? Warum bin ich heute hier?“ Durch das eigene Nachsinnen, aber auch das anschließende positive Feedback der Kollegen könne ein Umfeld voller „Wertschätzung, Mut, Würde, Geborgenheit und Vertrauen“ entstehen, so Janssen. Wie anders könne man Menschen berühren als dadurch, Gefühle zuzulassen und zu äußern? „Dadurch entsteht familiäre Identität – wir kommen gemeinsam vom Sollen zum Wollen.“

Wirksamkeit und Sinnhaftigkeit

Wo früher allein der wirtschaftliche Erfolg im Mittelpunkt stand und der Mensch „nur Mittel zum Zweck“ war, verschieben sich heute die Prioritäten, sagt Janssen. Dabei seien wirtschaftlicher Erfolg und Verbundenheit kein Widerspruch, ist er sich sicher und zitiert Götz Werner: „Kümmer dich um die Menschen, dann kümmern sich die Ergebnisse um sich selbst.“

Wenn Mitarbeiter das Gefühl haben, wirksam zu sein und persönlich definierte Ziele verfolgen zu können, brauche es kein Controlling mehr. „Wir benötigen die Freiheit, das zu leben, was uns als Menschen wirklich wichtig ist“ – denn: „Wirtschaftlichkeit ist die Basis unserer Existenz, aber nicht der Sinn unseres Tuns.“

Weniger Harmoniestreben

„Das übermäßige Streben nach Harmonie führt zu schlechter Stimmung“ – dieser Satz löst zunächst Irritationen aus. Aber dank der Erläuterungen von Pater Anselm wird nachvollziehbar, was hiermit gemeint ist: Die sogenannten Harmonisierer im Unternehmen verursachen häufig schlechte Stimmung: Sie können keine Konflikte aushalten, verharmlosen durch Schwamm-drüber-Mentalität, moralisieren. Hierdurch „üben sie unbewusst Macht aus, da sie die eigene Meinung durchsetzen, vereinnahmen und keine Diskussionen zulassen wollen“, so Pater Anselm.

Dagegen helfe nur, den eigenen Standpunkt offen zu vertreten, meint Janssen: „Denn wenn ich ständig schlucke, was mir nicht schmeckt, gärt das im Magen und ich muss spucken.“

Sprache muss dialogorientiert sein

Bei all dem spiele die Sprache eine elementare Rolle, sind sich die Redner einig. „Die Sprache ist voller innerer Bilder“, so Janssen. Bereits der Philosoph Wittgenstein sagte: „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt.“ Kommunikation dürfe jedoch keinesfalls belehrend sein, meint Janssen, und plädiert für einen „thesenorientierten Dialog statt Diskussion“. Erst aus dem Dialog entstehe ein Bewusstsein, und zwar „aus sich selbst heraus“, dies könne kein Vortrag leisten.

Pater Anselm ergänzt: „Nicht das, was ich sage, sondern das was ich ausstrahle, ist entscheidend.“ Die Ausstrahlung des Menschen habe ihre ganz eigene Qualität:

„Wir müssen die Menschen spüren – man kann eben nicht alles digitalisieren.“

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Filmtipp: Worin liegt der Sinn unseres unternehmerischen Handelns? Brauchen wir Know-how oder vielleicht auch Know-why? Woher nehmen wir den Mut für große Veränderungen, und wo bleibt der Mensch dabei? „die stille revolution“ – der Kinofilm zum Kulturwandel in der Arbeitswelt von Regisseur Kristian Gründling nach einer Vision von Bodo Janssen – gibt Antworten auf diese Fragen und weitere tiefe Einblicke auf einer Reise, die zukunftsorientierte Unternehmen nun nach und nach antreten.
https://www.die-stille-revolution.de/
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Bildquelle: fotolia_108633478