Guten Tag. Ich hätte gern einen Termin.

Die Mehrheit der Ärzte lehnt den Service der Online-Terminvereinbarung ab. Über den Kampf der Bits und Bytes gegen die gut gespitzten Bleistifte in deutschen Arztpraxen.

Carpe diem! (Horaz)

Neulich in der Mittagspause: Ein schnelles Essen und somit noch etwas Zeit, ein paar Kleinigkeiten zu erledigen. Wie zum Beispiel den Vorsorgetermin beim Arzt zu vereinbaren. Schnell auf der Website geguckt, Telefonnummer gefunden – super. Doch erreicht habe ich niemanden. Na klar, auch die Praxis hatte Mittagspause. Bitte nicht falsch verstehen: Selbstverständlich gönne ich jedem seine Pause. Nur zu was hat diese Situation geführt? Ich arbeitete fleißig weiter, erledigte all meine Nachmittagstermine und bis ich endlich wieder die Möglichkeit hatte, in der Praxis anzurufen, hatte diese schon wieder geschlossen. Und – ich gebe zu, auch aufgrund meiner Vergesslichkeit – verschob sich mein guter präventiver Wille von Tag zu Tag.

Bitte um Rückruf

Wir leben in Zeiten, in denen die Wartezimmer ständig voll sind. In denen freie Termine häufig erst in mehreren Wochen oder Monaten zur Verfügung stehen. Und in denen Praxen e-mails erreichen (falls sie denn überhaupt eine mail-Adresse haben) mit dem Wortlaut: „Leider kann ich Sie telefonisch seit Tagen nicht erreichen, es ist ständig besetzt. Bitte rufen Sie mich zur Terminvereinbarung zurück.“ Alles in allem: Betrachten wir den Patienten als Kunden, rennt der Kunde dem angebotenen Produkt hinterher. Viele halten das noch immer für selbstverständlich.

Doch es gibt längst Alternativen. Das Zauberwort heißt „Online-Terminvereinbarung“. Laut einer aktuellen Studie machen es inzwischen rund 21 Prozent der niedergelassenen Ärzte möglich, einen Termin im Internet anzufragen. Hinzu kommen 19 Prozent, die sich vorstellen könnten, diesen Service in Zukunft anzubieten. Die überwiegende Mehrheit jedoch, nämlich ganze 60 Prozent, halten dies nicht für sinnvoll.

Mittwoch Nachmittag geschlossen

Dieser Umstand ist vor allem deshalb so erstaunlich, da das Interesse der Patienten erwartungsgemäß sehr hoch ist. Die meisten von uns sind es gewohnt, Alltagsdinge dann zu erledigen, wenn sie uns in den Sinn kommen: schnell vor dem Job, nach Feierabend oder am Wochenende. Ja, erstaunlicherweise sogar am Mittwoch Nachmittag! Es will mir nicht so ganz in den Kopf, dass ich zwar meinen Urlaubsflug bequem im Internet buchen und sogar vor Abflug online einchecken kann – meine professionelle Zahnreinigung allerdings einen Anruf während der regulären Praxisöffnungszeiten benötigt. Und wenn der Arzt gerade Urlaub hat, na gut, dann warte ich eben noch zwei Wochen?

Es geht ja nicht nur um Kundenorientierung. Natürlich, die Patienten schwärmen sowieso in die Praxen, sind froh um jeden Termin, ob mit oder ohne Onlineservice. Aber würde es nicht auch für die Mitarbeiter einen Mehrwert darstellen, auf die endlos-säuselnde Wiederholung der Sätze „Wann passt es Ihnen denn besser, am Vormittag oder am Nachmittag?“ oder „Der Doktor hat leider erst wieder im November Zeit…“ verzichten zu können und sich stattdessen um Wichtigeres zu kümmern? Oder wenn der Patient einen Tag vorher automatisch erinnert wird, sodass keine Termine kurzfristig unbelegt bleiben?

Bleistift und Radiergummi? Funktioniert doch.

Natürlich hieße das dann aber auch: Eine Software muss her. Oder überhaupt erstmal eine eigene Praxis-Homepage (jeder vierte Arzt hat keine und will auch keine). Man müsste den ach-so-liebgewonnenen Buch-Terminplaner ersetzen und mit ihm Bleistift und Radiergummi. (Radiergummi – das ist so ein Ding, das der Normalbürger wohl zum letzten Mal während seiner Schulzeit in der Hand hatte.) Und es bräuchte Mitarbeiter, die ausgebildet und willens sind, die Software zu bedienen.

Digitalisierung im Gesundheitswesen – das ist nicht immer gleichzusetzen mit Robotertechnik, 3D-Druck, algorithmenbasierter Diagnostik oder einer elektronischen Patientenakte. Das Beispiel einer ordinären Terminvereinbarung verdeutlicht, dass der Weg aus unserer bequemen (da funktionierenden) analogen Welt hin zu einem automatisierten Umfeld noch sehr weit ist – selbst, wenn die Vorteile auf der Hand liegen.

Während ich dies schreibe, ist es dunkel geworden. Wie schön wäre es, wenn ich nun noch schnell… Na egal. Morgen hat die Praxis ja wieder geöffnet. Ich bin guter Dinge und lasse mich vorsichtshalber rechtzeitig an das geplante Telefonat erinnern: von meiner Kalender-App. Hätte ich ja gleich drauf kommen können.

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